Trauma und Erinnerung

Steve Haines arbeitet seit vielen Jahren als Körpertherapeut in Genf und London. Im Dasein-Institut in Winterthur arbeite ich mit ihm zusammen in der Berufs-Ausbildung für Craniosacrale Biodynamik. Mir gefällt sein sehr unkomplizierter und körperlicher Zugang zu vermeintlich mentalen Themen. Unter anderem hat er zwei kleine comic-artige Büchlein zum Thema "Schmerz" und "Trauma" verfasst, in denen er kurz und prägnant und lustig darstellt, was nach heutigem Forschungsstand im Köper passiert.

Anbei sein Artikel zum Thema Trauma und die Speicherung von Trauma im Körper, den ich übersetzt habe.

 Wo werden Erinnerungen abgespeichert?

 

Wie wichtig ist es, sich an die Ereignisse eines Traumas zu erinnern, damit es heilen kann?

 

Es gibt bekannte Begriffe wie „Muskel-Gedächtnis“ oder „Zell-Erinnerung“, die hilfreich sind, aber sorgfältig angewandt werden sollten. Sie beziehen sich auf die große Bedeutung der Informationen, die in unserem Körper gespeichert werden. Damit die gespeicherten Informationen jedoch unserer bewussten Wahrnehmung zugänglich sind, muss das Gehirn in die Verarbeitung des Informationsflusses unseres Körpers involviert sein. Je nachdem, ob die Informationen im primitiven Teil des Gehirns (Unterbewusstsein) oder im Cortex (Bewusstsein) verarbeitet werden, ist eine Erinnerung explizit vorhanden oder nicht.

 

Ich habe ein Paar Lieblingsjeans mit einigen Löchern und Reparaturstellen. Die Falten und Abnutzungen des Materials sind quasi eine Erinnerung, die Jeans passt sich meinem Körper an wie keine andere. Der Faszien-Forscher Gil Hedley (2005) spricht über Faszien als „Fuzz“. Der Fuzz akkumuliert und spiegelt vergangene Zeit. Die Fasern des Körpergewebes (Muskeln, Faszien etc.) halten durch eine gewisse Klebrigkeit und Ausrichtung die Gelenke in gewohnten Haltungsmustern.

 

Denken Sie an ein kleines Kind, dass von seinem Vater angeschrien wird. Seine Schultern spannen sich an, sein Hals zieht sich zusammen und der Körper produziert Angsthormone und Aktivierungsymptome (hoher Puls, schnelle Atmung etc.). Wenn das regelmäßig passiert wird „Schulteranspannung und enger Hals“ zu einem „Aktionsmuster“ (Kozlowska et al 2015)

 

Jetzt stellen Sie sich dieselbe Person als Erwachsenen 30 Jahre später am Behandlungstisch vor. Sein Kopf und Nacken gehalten mit präsenter, sanfter und sicherer Berührung. Ein ähnlicher Zustand, wie damals, als er angeschrien wurde, entsteht plötzlich. Der Klient beginnt sich unwohl zu fühlen und denkt vielleicht an seinen Vater.

 

Das „Muskelgedächtnis“ ist die Spannung und der Tonus in der Gewebe-Struktur des Nackens (Ingber 2008) Das Zell-Gedächtnis ist die Prägung der zelluläre Rezeptoren des Körpers (lokal und ganzkörperlich), die aufgrund der wiederholten Angstreaktionen auf all die Stresshormone, Immunsystem-Signale und Entzündungs-Botenstoffe sensitiviert wurden. (Damasio und Carvalho 2013). Die „Aktionsmuster“ sind einfache, wiederkehrende Bewegungsmuster, die im Stammhirn gespeichert werden.

 

Sensornerven (Nerven, die Sinneswahrnehmungen transportieren) transportieren die Veränderung von Spannung und chemischen Prozessen im Körper zum Gehirn. Nur wenn das Gehirn auch involviert ist, entstehen Emotionen, Gefühle und Gedanken im Bewusstsein. Manchmal treten sie ins volle kognitive Bewusstsein, manchmal nicht. Aber „etwas passiert“. Eine Erinnerung wird ausgedrückt.

 

Neben expliziten Erinnerungen gibt es auch implizite Erinnerungen. (Davon habe ich erstmals von Babette Rothschild, 2000, gehört). Der Klient auf dem Behandlungstisch bekommt Angst, wenn man seinen Nacken berührt und sich zu rasch zu viel verändert, aber er weiß nicht, warum er sich ängstigt.

 

Als Therapeut, der mit Trauma arbeitet ist es wichtig den Anstieg und Wechsel in den rhythmischen Bewegungen des Körpers als implizite Erinnerungen zu erkennen. Es gibt einige gute frühe Warnsignale dafür, dass „etwas“ beginnt, sich zu zeigen.

 

Wir können helfen die richtige Geschwindigkeit für die Veränderung der Person zu finden. Die geübte Präsenz des Therapeuten kann dazu beitragen, dass der Klient die Fähigkeit zur Selbstregulation entwickelt. (Ndefo2105). Das Stammhirn (primitives Gehirn) kommt mit Worten und Konzepten nicht gut zurecht, aber es reagiert stark auf Sicherheit, Berührung und Präsenz.

 

Implizite Erinnerungen werden sehr einfach im Stammhirn codiert. Oftmals sind sie ohne Zeitbezug. Die Amygdala – ein wichtiger Teil unseres Gefahrerkennungs-Systems (LeDoux 2015) – speichert symbolische Darstellungen von Gefahr. Die Amygdala triggert „Fight-or-Flight“ (Kampf-oder-Flucht) oder „Immobilitäts“ Reaktionen (Verteidigungskette Kozlowska et al 2015) wenn sie Gefahr im empfangenen Informationsfluss ortet.

 

Wenn der Cortex involviert ist, dann werden wir eine explizite Erinnerung haben – dann können wir assoziierte Ereignisse und Zeitbezüge einordnen und mit der Aktivität im Körper in Zusammenhang bringen. Explizite Erinnerungen treten für gewöhnlich erst ins Bewusstsein, nachdem der Körper sich verändert hat. Der Hippocampus und der präfrontale Cortex hilft uns dann zu sagen „das ist mir vor 30 Jahren passiert“. Eine Aufgabe des Therapeuten ist es, diese Erinnerungen und Geschichten anzuerkennen und gleichzeitig den Klienten zu den Ressourcen im Körper und der gegenwärtigen Umgebung hin zu orientieren. „Es passiert nicht jetzt“, auch wenn der Körper laut schreit, dass er gerade jetzt Angst hat.

 

Wie Dr. David Berceli (2008), Begründer der Trauma Releasing Exercises (TRE), sage ich gerne “Du musst Dich nicht erinnern oder verstehen, um ein Trauma zu heilen”. Das Ziel ist es, die Symbole der Amygdala mit gegenwärtiger Information zu überschreiben. Der Körper ist eine großartige Quelle guter Neuigkeiten, die uns ins Jetzt bringen können.

 

Artikel von Steve Haines übersetzt von Sabine Kunz-Bauer-Eder

 

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